Identifikation mit Deutschland

Donnerstag, 14.11.2013

Wenige Stunden nach dem Ende des letzten Blogeintrags möchte ich hier wieder beginnen.
Donnerstag vor einer Woche sind meine Mitbewohnerin und ich nämlich das erste Mal zum deutschen Stammtisch in Philadelphia gegangen.
Der deutsche Stammtisch, bzw. das "Netzwerk Philadelphia", welches dahinter steht, ist eine Art inoffizieller Verein, gegründet von unserem, bereits im letzten Eintrag erwähnten, LBA Mark, der dazu dienen soll, deutsche oder deutschsprechende Personen jeden Alters aus der Region Philadelphia miteinander in Kontakt zu bringen.
Dazu gibt es verschiedene Treffen und Veranstaltungen. Der Kern sind dabei die Stammtische die, soweit ich weiß, zwei Mal pro Woche an verschiedenen Orten stattfinden. Einer dieser Orte ist das "Brauhaus Schmitz", eine relativ typisch deutsche Gaststätte, in Philadelphia, wo wir eben letzte Woche vorbei geschaut haben.
Kurzes Fazit: Es hat sich gelohnt! Der Abend war total toll und wir hatten echt jede Menge Spaß, viel Gesprächsstoff und wir haben einige echt nette Leute kennen gelernt.
Unter anderem eine amerikanische Studentin, die 3 Jahre in Bremen studiert hat und eine Post-Doktorantin aus Thüringen, die seit einigen Monaten in Philadelphia lebt. Mit beiden haben wir uns einige Zeit unterhalten und eine der beiden hat mir gleich vorgeschlagen nächstes Wochenende mit auf ein Konzert zu kommen. Leider werde ich das nicht schaffen, aber ich bin mir sicher, dass sich noch einmal eine Gelegenheit dazu bieten wird!

Das darauf folgende Wochenende gab es dann gleich zwei Premieren: Einerseits hatte ich das Haus das erste Mal für mich alleine, da meine Mitbewohnerin in New York war. Zum anderen hatte ich letzten Samstag das erste Mal an einem Wochenende einen ganzen Tag nichts zu tun! Es war herrlich! Die letzten Wochen hatten wir immer eine Menge Programm. Egal ob Washington, New York, Philadelphia, Atlantic City oder Fußball. Irgendwas gab es immer. Umso schöner war es einfach mal einen ganzen Tag einfach nur zu faulenzen.

Allerdings ging das nicht das ganze Wochenende - das wäre ja verrückt! Am Sonntag waren die Philly- und Camden-Freiwilligen zusammen mit unserem LBA Mark, stellvertretend für ASF, beim Har Zion Temple, einer Synagoge ein wenig außerhalb von Philadelphia, zu einer Gedenkveranstaltung an die Reichsprogromnacht vor 75 Jahren eingeladen. Dort sollte im Rahmen der Veranstaltung dann auch noch Hannah, eine unserer Freiwilligen die sowohl im Büro von ASF, hier in den USA, als auch mit jüdischen Holocaust-Überlebenden arbeitet, eine Rede halten.
Das war für uns natürlich eine sehr spezielle Situation - eine deutsche Organisation auf einer Gedenkveranstaltung an die Reichsprogromnacht in Amerika. Aus diesem Grund waren wir alle ein wenig aufgeregt.
Bei unserer Ankunft erwies sich unsere Aufregung allerdings schnell als volkommen unbegründet, da wir total herzlich empfangen wurden und sich alle freuten, dass wir da waren.
Zu Beginn der Veranstaltung standen dann einige Reden an - unter anderem eben auch die von Hannah (Hier nachzulesen!). Diese machte ihren Job großartig und die zahlreich erschienen Gäste (die Rede war von 500 bis 600) waren begeistert.
Der Haupteil des Events war ein Konzert eines Stückes, welches zum Gedenken an die Reichsprogromnacht geschrieben wurde. Das war zwar ganz interessant aber nicht sonderlich spektakulär.
Im Anschluss an das Konzert gab es allerdings noch die Möglichkeit sich eine Ausstellung anzusehen. Außerdem hatten wir von ASF noch einen Tisch, an dem wir Info-Material verteilt haben und mit Interessierten ins Gespräch gekommen sind.
Das war der eigentlich beste Part des Abends, denn dort sind wahnsinnig viele Menschen auf uns zugekommen, haben sich für unser Kommen bedankt und viele haben gesagt, wie toll sie es finden, dass wir einen solchen Freiwilligendienst machen.

Ein Gespräch ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Ein Jude war auf mich zugekommen und erzählte mir, dass er vor einiger Zeit in Deutschland war und dass das anfangs für ihn kein leichter Schritt gewesen sei, da es nun mal das Land ist, das verantwortlich für den Holocaust war. Als er dann aber dort war, war er total überrascht wie offen und "healthy" (~gesund) Deutschland mit der Vergangenheit umgegangen sei. Als Beispiel nannte er ein Besuch in einem Technik-Museum in Berlin, in dem unter anderem ein Zug-Waggon stand, mit dem während des dritten Reiches Juden ins KZ deportiert wurden. Als er dann einen Museumswärter darauf ansprach, habe dieser geantwortet, dass das nun mal Teil der deutschen Geschichte sei. Das hat ihn anscheinend sehr beeindruckt und ihm ein Stück weit bei der Bewältigung dieser Vergangenheit geholfen.

Es gab natürlich noch viele andere Gespräche. Es würde aber hier zu weit führen, von allen zu erzählen.
Allerdings ist mir diesem Abend eine Sache klar geworden. Ich war nie jemand, der in irgendeiner Weise stolz darauf war, Deutscher zu sein. Ich konnte mich eigentlich nie besonders mit Deutschland identifizieren. Das mag zum einen an meinem links-liberal geprägten Elternhaus (Ich hoffe ihr stimmt mir da so zu 😉) liegen. Zum anderen auch an meinen eigenen politischen Standpunkten, die sich über die Jahre "herausgebildet" haben. Und es liegt mit Sicherheit auch an der deutschen Vergangenheit, die nun mal zu mir als Deutschem dazugehört.
Allerdings wurde mir an diesem Abend bewusst, dass ich mich nach den Erfahrungen, die ich in den ersten zwei Monaten als Freiwilliger in den USA gemacht habe, besser mit Deutschland identifizieren kann, als nach 18 Jahren leben in Deutschland.
Vielleicht musste ich wirklich erst so weit weg von zu Hause sein um zu begreifen, was für ein Privileg es ist, in einem solchen Umfeld wie man es in Deutschland hat, aufzuwachsen und was soziale Ungleichheit und Sozialhilfe (oder auch nicht) ausmacht oder was es wirklich bedeutet, wenn Rassismus ein Teil der Gesellschaft ist - um nur wenige Beispiele zu nennen.

Das war nun auch schon das wichtigste der vergangenen Tage. Außer vielleicht, dass wir nun angefangen haben unser Wasser zu filtern, nachdem unsere Pastorin mit den Worten "You're too young to die" (Ihr seid zu jung zum Sterben) reagiert hat, als ich ihr erzählte, dass wir das Wasser einfach aus dem Hahn trinken.
Wer weiß ob das Wasser wirklich so schlimm ist. Aber vielleicht sollten wir es nicht ausprobieren.

 

Ein wenig mehr über den Alltag in Camden und die Arbeit gibt es dann hoffentlich nächstes Mal wieder.

Bis dahin ganz liebe Grüße

Christopher

 

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