Berichte von 10/2013

Washington, Camden und Philadelphia

Mittwoch, 30.10.2013

Nun habe ich schon das erste kleine Ziel für meine Zeit in den USA erreicht. Letztes Wochenende bin ich zusammen mit meiner Mitbewohnerin und einem weiteren Freiwilligen aus New York von Freitag bis Sonntag nach Washington gefahren um dort einer anderen ASF-Voluntärin einen Überschungs-Gerburtstags-Besuch abzustatten. Damit habe ich nach Philadelphia und New York die dritte und damit letzte große Stadt in unserer "näheren" Umgebung besucht.

Freitag Nachmittag sind wir direkt nach der Arbeit von Philadelphia aus losgefahren und kamen gegen 18:30 Uhr in Washington an, wo wir von einer Mitbewohnerin des "Geburtstagskindes" abgeholt und zu deren Wohnung gebracht wurden. Als wir dann plötzlich ohne Ankündigung in der Küche standen war diese erst einmal vollkommen überwältigt und die Überaschung damit geglückt!

Der Abend wurde später noch richtig unterhaltsam, da außer der ASF-Gruppe unter anderem noch zwei Amerikanerinnen und ein Östereicher eingeladen waren. Mit diesem diskutierten wir dann noch bis spät in die Nacht über Themen von der Rolle Österreichs während des dritten Reiches über die politische Situation sowie die Rolle des Faschismus in Österreich heute bis hin zu Vorurteilen gegenüber Deutschland bzw. Österreich, was wahnsinnig viel Spaß gemacht hat. Außerdem war es irgendwie schon lustig viele, viele Kilometer entfernt von zu Hause mit einer fremden Person, in einem fremden Haus über die "Heimat" zu diskutieren. 

Am nächsten Tag klapperten wir dann den typischen Touristen-Kram in Washington ab, besuchten gefühlte 20 Wasweißich-Kriegs-Memorials (die allerdings alle sehr interessant gestaltet wurden), machten Bilder vor der Rückseite des weißen Hauses schauten von weitem auf das Kapitol und genossen es einfach mal in einer "reichen" Stadt zu sein.

Denn auch wenn ich wirklich gerne hier in Camden lebe und arbeite, empfinde ich die allgegenwärtige Armut doch auf die Dauer ziemlich bedrückend und da tut es einfach gut ab und zu mal etwas anderes zu sehen. Deswegen bin ich auch letzten Montag direkt nach der Arbeit einfach mal nach Philly gefahren und habe zu Fuß die Stadt erkundet, was echt gut getan hat.

Da diesen Freitag ein Fundraising-Diner der Schule stattfindet, in der meine Mitbewohnerin arbeitet, bei der auch die Pastorin anwesend sein muss, werde ich diesen Freitag den Gottesdienst das erste Mal alleine machen müssen. Ich bin echt gespannt wie das so ablaufen wird. Allerdings ist das kein normaler, formeller Gottesdienst. Stattdessen wird viel gesungen und man sitzt zusammen um über eine Geschichte aus der Bibel zu diskutieren. Das ganze erinnert mich ein wenig an eine Mischung aus CVJM und Konfirmations-Unterricht. Trotzdem wird das sicherlich spannend und eine neue Erfahrung.

Heute Nachmittag wurde ich dann noch von meiner (ein wenig aufgeregten) Mitbewohnerin angerufen, da gerade ein Auto einen Unfall direkt vor unserer Kirche gebaut hat und dabei die ziemlich massive Informationstafel der Kirche völlig zerstört hat. Als ich raus kam standen bereits mehrere Polizeiwagen, ein Feuerwehrauto und ein Wagen vom Abschleppdienst dort. Von der Pastorin erfuhr ich dann, dass wohl ein 17-jähriger Fahrer mit zu vielen Mitfahrern (in der USA dürfen Fahranfänger maximal zwei Personen im Auto mitnehmen) zu schnell unterwegs war, einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen musste und dabei frontal in das besagte Schild raste. Die Insassen wurden alle ins Krankenhaus gebracht. Soweit ich weiß geht es aber allen gut.

Wie ihr seht ist noch immer viel los hier und ich bekomme so schnell keine Langeweile.

Am Ende möchte ich noch einen Link empfehlen, den ich von einem ASF-Freiwilligen aus Detroit bekommen habe und der sehr gut die Situation in Camden verdeutlicht.

http://demographics.coopercenter.org/DotMap/index.html

Dort einfach mal links auf "Add Map Labels" klicken und ganz nah an Philadelphia ranzoomen. Direkt daneben kann man dann Camden finden.
Die Karte zeigt die verschiedenen ethnischen Gruppierungen, grafisch verdeutlicht.

Liebe Grüße aus dem mittlerweile viel zu kalten Camden

Christopher

 

P.S.: Noch einige Bilder: Kapitol Washington, Eastern Market Eashington, Philadelphia, Küche des Shelters, Essenssaal des Shelter

 

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Atlantic City, New York und der ganz normale Alltag in Camden

Sonntag, 20.10.2013

So. Nun auch noch der angekündigte Beitrag zu den letzten Ereignissen in meinen Projekten und drumherum.
Gerade eben habe ich noch mal nach geguckt wann ich den letzten "normalen" Beitrag eingestellt habe und habe entsetzt festgestellt, dass der nun schon mehr als drei Wochen zurück liegt. Die Zeit vergeht einfach echt wie im Flug!

In der Zeit ist jetzt schon wieder so viel passiert, dass eigentlich ein Eintrag bei weitem nicht ausreicht aber ich gebe mein Bestes einen kurzen Überblick zu geben.

Ein freies Wochenende hatte ich bis jetzt leider (oder zum Glück?) noch nicht, da es einfach zu viele Dinge zu erleben gibt. Die zwei größten Unternehmungen die ich bis jetzt angestellt habe, waren zwei "Städtereisen". Zum einen waren wir am 6. Oktober in Atlantic City. Atlantic City ist eine Stadt, die ca. eine Stunde östlich von Camden und damit direkt an der Küste liegt. Wir wollten dort einfach einen der letzten richtig heißen Tage genießen und sind den ganzen Tag am Strand entlang geschlendert, weil es dort leider außer der Strandpromenade nicht viel zu sehen gibt. Antlantic City ist bekannt für seine vielen großen Casinos und gilt deswegen ein bischen als das kleine Las Vegas. Da wir alle noch keine 21 und damit in Amerika nicht volljährig sind, ist das allerdings für uns ziemlich uninteressant. Trotzdem haben wir den Tag sehr genossen!

Die zweite Sache war dann unser Trip nach New York von Sonntag auf Montag, letztes Wochenende! Wir sind erst Sonntag Abend in New York angekommen, da ich bis Mittags noch in der Gemeinde arbeiten musste und aufgrund der Lichverhältnisse war alles noch ein bischen spektakulärer. Den ersten Blick auf die Skyline von Manhattan und die Freiheitsstatue erlangten wir, während dem Sonnenuntergang aus unserem Bus, was schon mal sehr beeindruckend war!
Doch noch viel spektakulärer war es, als wir einige Zeit später (die Sonne war inzwischen vollständig untergegangen) aus der U-Bahn, die uns zu der Wohnung einer anderen Freiwilligen bringen sollte, stiegen und plötzlich mitten auf dem Times Square in New York standen! Wir waren völlig geflasht! Es war taghell, überall leuchteten riesige Reklametafeln und es sah wirklich genauso aus, wie man es sich vorstellt - nur noch eine Spur größer. Plötzlich kam ich mir in mitten der Menschenmenge unter den riesigen Wolkenkratzern ganz schön klein vor.
Leider hatten wir aber insgesamt nicht so viel Zeit in NY und mussten Montag Nachmittag schon wieder zurück fahren. Aber das wird defintiv nicht mein letzter Besuch dort gewesen sein!

Auch auf der Arbeit läuft es immer besser und ich bekomme so langsam schon ein wenig Routine. Außerdem mache ich vor allem bei meiner Arbeit im Shelter immer wieder neue Bekanntschaften und führe echt tolle Gespräche! Mal ist es ein Ex-Soldat der US-Airforce der mir von seiner Zeit als Soldat in Deutschland erzählt. Dann wiederrum ein Obdachloser Mitarbeiter des Shelters, mit dem ich mich über die Gründe seiner persönlichen Situation unterhalten habe.
Eine Sache die ich aber hier vor allem bei der Arbeit mit den Obdachlosen sehr schnell lernen musste war, dass es eigentlich ziemlich unmenschlich ist, Personen zu ignorieren, die einen (auf der Straße) ansprechen. In Deutschland habe ich mir unbewusst angewöhnt Menschen, die mich nach Geld fragen, einfach zu ignorieren. Hier wurde mir erst einmal bewusst, dass das eigentlich ziemlich unfair ist und deswegen versuche ich jetzt entweder etwas Geld zu geben, oder zumindest höflich zu bleiben und zu sagen, dass ich gerade nichts geben kann oder möchte.

Und in der Regel sind die Leute auch echt verständnissvoll, wenn man nichts gibt oder sie freuen sich total, wenn man doch ein bischen abgeben kann.
So war es zum Beispiel letzten Freitag, als ich auf dem Rückweg von der Arbeit von einem Mann angesprochen wurde, ob ich einen Quarter (Viertel-Dollar) für ihn hätte. Als ich mein Portemonnaie rauskramte fragte er mich, ob ich aus Philly wäre, da ich nicht so aussähe wie jemand aus Camden. Als ich ihm dann erzählte, dass ich aus Deutschland käme, in Camden wohne und für ein Jahr hier voluntieren würde war er sofort total begeistert und ohne Vorwarnung erzählte er mir plötzlich seine gesamte Familiengeschichte - angefangen bei seiner Ur-Ur-Großmutter, die vor vielen, vielen Jahren aus Deutschland in die USA ausgewandert sei, über sein Onkel der aus einer armen Familie stamme und nun sehr erfolgreicher Grafiker in Florida sei bis zu seinen Sohn der ganz stolz darauf sei, von deutschem Blut zu sein und nun zusammen mit ihm versuche Deutsch zu lernen.

Es ist einfach eine total tolle Sache alle diese Erfahrungen hier machen zu können und so viele tolle Menschen kennen zu lernen! Deswegen genieße ich jetzt das restliche Wochenende, freue mich aber trotzdem schon wieder auf die Arbeit am Montag!

Leider gibt es bei meinem Bloganbieter anscheinend keine Möglichkeit automatisch über neue Blogeinträge informiert zu werden. Deswegen werde ich jetzt einfach einen E-Mail-Verteiler anlegen, den ich immer auf dem laufenden halte. Wer in den Verteiler aufgenommen werden möchte, kann mir einfach eine Nachricht über das Kontaktformular oder eine E-Mail schicken.

Viele Grüße aus Camden

Christopher

 

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Kriminalität und Armut in Camden

Mittwoch, 16.10.2013

Heute möchte ich statt einem weiteren Statusupdate, einen Beitrag außer der Reihe schreiben. Da das Thema Kriminalität/Armut eben eine sehr wichtige Rolle in Camden spielt, möchte ich ein wenig über die Situation der letzten Jahre hier schreiben und auch meinen eigenen Eindruck und die aktuelle Situation schildern.

 

Zur Kriminalität in Camden sagt Wikipedia: "Basierend auf den Statistiken des FBI war Camden hinsichtlich der Kriminalität die zweitgefährlichste Stadt in den USA im Jahr 2002; 2004 und 2005 wurde sie auf die Gefährlichste Stadt in den USA hochgestuft. Im Jahr 2008 nahm Camden den zweiten Platz dieser Statistik ein, die auf Kriminalstatistiken in sechs Kategorien basiert: Morde, Vergewaltigungen, Raubüberfälle, schwere Körperverletzung, Einbrüche und Fahrzeugdiebstähle. [...]Durch die geringe Polizeipräsenz infolge der Kürzungen haben vor allem im Süden der Stadt sogenannte Gangs den Drogenhandel übernommen. Im Jahr 2011 gab es 49 Schussopfer."


Diese Statistik zeigt sehr deutlich, dass die Kriminalität in Camden eine sehr große Rolle spielt. Das haben meine Mitbewohnerin und ich als erstes dadurch gespürt, dass so etwas selbstverständliches, wie unsere Bewegungsfreiheit, eigeschränkt wurde. Von Anfang wurde uns klar gemacht, dass wir nach Einbruch der Dunkelheit, momentan ca. 18:20, keinen Fuß mehr vor die Tür setzen sollten. Damit sind wir beide noch nicht so wirklich zufrieden, allerdings wird uns wohl langfristig nichts anderes übrig bleiben, als uns daran zu halten.

Allerdings wird die Armut und Kriminalität auch auf andere Weise deutlich. So wurde ich zum Beispiel gleich an einem der ersten Tage auf dem Weg zur Arbeit von einem fremden Mann angesprochen. Erst habe ich gar nicht verstanden was er von mir wollte und ich wurde plötzlich ziemlich nervös, als er mich mit ihm mit zu gehen. Kurz darauf fragte er mich "was ich brauche". Glücklicherweise konnte ich ihm ziemlich schnell klar machen, dass ich keine Drogen kaufen will. Trotzdem war es ein komisches Gefühl angesprochen zu werden, allein augrund der Tatsache, dass ich wohlhabend aussehe. Ein Aussehen, das für mich in Deutschland bisher Selbstverständlichkeit war - hier fällt man damit auf.

Für die Menschen die hier leben ist die Armut trauriger Alltag. Doch es gab auch Zeiten in denen es nicht so war. Der Hausmeister unserer Gemeinde (wahnsinnig netter Kerl!) erzählte mir zum Beispiel vor einiger Zeit, dass seine Mutter immer von den Zeiten erzählen würde, als Camden eine friedliche, kleine Hafenstadt war, die Kinder draußen gespielt hätten und von Armut und Kriminalität quasi keine Spur war. Camden war keine außergewöhnliche Stadt, aber aufgrund von einigen ansässigen Industrieunternehmen gab es genug Arbeitsplätze ür den Großteil der Bevölkerung.

Doch nach und nach zogen die Unternehmen aus Camden weg und die Arbeitslosigkeit stieg - und damit begann ein Teufelskreis aus dem Camden sich noch bis vor wenigen Jahren nicht herauskämpfen konnte. Nach der Meinung unseres Hausmeisters, der nun schon seit vielen Jahren in Camden lebt und selber einige Zeit obdachlos war, war der Hauptgrund für den Verfall Camdens, dass die Regierung mit dem Zustand der Stadt zufrieden war - auch als die Arbeitslosigkeit und damit auch die Armut anstieg und Unternehmen aus Camden wegzogen. Viel zu spät habe man begonnen Maßnahmen gegen die Armut zu ergreifen. Bis die Stadt dann völlig am Boden war und dies auch für viele Jahre blieb. Zum Verhängniss wurde der Stadt vor allem, dass die Grundstückspreise drastisch sanken und damit auch die Grundsteuereinnahmen, welche in den USA die Haupteinnahmequelle auf kommunaler Ebene darstellen, wegbrachen. Verschlimmert wurde die Situation zudem vor wenigen Jahren, als sehr große Teile der Polizei und Feuerwehr entlassen wurden, um Geld zu sparen.

Doch nicht alles ist schlecht in Camden.Seit einiger Zeit ist ein zarter Aufwärtstrend erkennbar: Die verblieben 280 Camdener Polizisten wurden nun vollständig entlassen. Stattdessen hat der Staat New Jersey die Hoheit über die Polizeiarbeit übernommen und 400 neue Polizisten eingestellt, die nun für Recht und Ordnung in Camden sorgen sollen. Und das zeigt Wirkung: Eine ehemalige ASF-Freiwillige die vor drei Jahren in Philadelphia war und deswegen natürlich auch die Situation in Camden mitbekommen hat, erzählte uns, dass es zu ihrer Zeit Stadt-Viertel gab, in die sich die Polizei schlicht und einfach nicht herein traute. Wählte jemand aus dieser Gegend den Polizei-Notruf kam niemand zur Hilfe.

Das hat sich nun geändert, was auch ich deutlich spüre. Eine der gefährlichsten Gegenden ist Camden-Downtown, so etwas wie das Zentrum von Camden. Dort befindet sich auch New Visions - eines meiner beiden Projekte. Auf meinem Weg zur Arbeit begegne ich dort nun jeden Morgen einigen Polizisten. Man merkt hier deutlich, dass die Polizei sich bemüht Präsenz zu zeigen. Und auch in den "Randbezirken" sieht man immer wieder Polizeistreifen umher fahren, was vor einigen Jahren noch die absolute Ausnahme war.

Abgesehen davon kursiert nun auch seit einiger Zeit ein Flyer in der Stadt, auf dem ein größeres Unternehmen (keine Ahnung was genau) ankündigt eine Firma in Camden zu eröffnen und 1.000 (!!!) neue Mitarbeiter einzustellen.

Natürlich sind beides nur sehr kleine Schritte. Camden ist immer noch eine extrem arme Stadt und hat einen wahnsinnig weiten Weg vor Sich. Aber dennoch zeigt dies und einige andere kleine Dinge, dass ein Aufwärtstrend erkennbar ist, der Hoffnung macht auf eine bessere Zukunft, die anknüpft an die Zeiten in denen der Name "Camden" noch nicht mit Kriminalitätsstatisken und Horrorgeschichten verbunden wurde. An eine Zeit in der Camden als florierende Handels- und Industriestadt noch so etwas wie der Inbegriff der Industriealisierung war.

 

 

Ich hoffe, dass ich es im Laufe der Woche noch schaffe ein Bericht über die letzte/n Woche/n und mein Wochenendtrip nach New York reinzustellen.

Bis dahin viele Grüße

Christopher